Mag. Klara Hanstein
Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin, Systemische Psychotherapeutin, Weiterbildung in Kinder-, Jugend- und Familienpsychologie, Weiterbildung in Säuglings-, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
Homepage: klarahanstein.com
Instagram: @klarahanstein.fuerkopfundherz
Liebe Klara, du bist eine absolute Angst-Expertin. Wir haben in den Gesprächen mit Eltern über das Buch "Fritz Flatterbauch" die Erfahrung gemacht, dass eine große Unsicherheit herrscht, wenn Kinder Angst haben. Gemeinsam wollen wir etwas Licht ins Dunkel bringen.
Welche Ängste sind bei Kindern „normal“? Welche klassischen Phasen gibt es, welche Intensitäten würdest du als "normal" bezeichnen?
Ängste zeigen sich bei Kindern oft anders als bei Jugendlichen oder Erwachsenen.
Außerdem treten im Kindesalter andere Ängste auf als im Jugend- oder Erwachsenenalter.
Für gewisse Altersbereiche gibt es Ängste, die typisch dafür sind. Jedes Kind macht im Verlauf seiner gesunden Entwicklung verschiedene Angstphasen durch.
Kinder können im ersten Lebensjahr Angst vor fremden Menschen oder lauten Geräuschen haben.
Nach dem ersten Lebensjahr können bei Kindern immer wieder Phasen auftreten, in denen sie Trennungsängste haben. Das heißt, dass sie nicht getrennt von den Eltern oder wichtigen Familienmitgliedern sein möchten. Gewöhnlich lassen diese Ängste in der Grundschule nach.
Im Kindergartenalter sind Ängste vor der Dunkelheit oder vor dem Alleinsein typisch.
Ab etwa 3 Jahren können Kinder Angst vor Fantasiegestalten (das Monster unter dem Bett oder das Gespenst im Kleiderschrank) haben.
Im Grundschulalter können Kinder Ängste vor Dingen auftreten, die sie im Fernsehen gesehen haben (z.B. Verbrechen) und vor Naturkatastrophen.
Ab Mitte der Grundschule sind Sorgen über das Aussehen und über Leistungen (Schulversagen) typisch. Hier können auch Ängste vor dem Tod auftreten.
Ältere Kinder und Jugendliche haben viel mehr Angst vor sozialer Bewertung und Versagen, als kleinere Kinder.
Eltern dürfen ihre Kinder liebevoll und einfühlsam begleiten, sich diesen Ängsten zu stellen. Dadurch lernen sie, dass sie immer mehr Einfluss auf ihr Angsterleben haben und die Angst überwinden.
Wo sind die Grenzen? Ich glaube, viele Eltern möchten wissen: Ab wann muss mich mir Sorgen machen, ab wann eine fachliche Meinung hinzuziehen? Wo verläuft die Grenze zwischen ängstlicher Phase und Angststörung?
Viele Ängste, die in der Kindheit auftreten, sind leicht ausgeprägt und gehen vorüber.
Wenn die Ängste sich jedoch intensiveren, also immer stärker werden, und andauern und zu erheblichen Beeinträchtigungen im Alltag führen, ist es zu empfehlen, diese kinderärztlich und/ oder kinderpsychologisch abklären und behandeln zu lassen.
Beeinträchtigungen im Alltag bedeuten, dass das Kind z.B. nicht mehr zu Schule gehen will oder keine Freunde mehr besuchen will oder gar nicht mehr alleine bleiben kann.
Kleinere Kinder drücken Angst oft anders aus als Erwachsene. Sie weinen bei Angst, bekommen Tobsuchtsanfälle, lutschen am Daumen, klammern sich an Erwachsene oder erstarren. Wenn kleinere Kinder aggressiv werden, ist für Eltern oft ein Zusammenhang zu einer Angst nicht gleich ersichtlich. Hier ist es wichtig, genauer hinzuschauen.
Oft zeigen sich Ängste bei Kindern auch auf der körperlichen Ebene: wenn Kinder vor bestimmen Situationen immer Bauchweh oder Kopfweh haben, gilt es auch, auf Zusammenhänge zu achten.
Angststörungen, die typischerweise im Kindesalter auftreten können, sind vorwiegend die Trennungsangst, die Soziale Phobie und spezifische Phobien, die auf ganz bestimmte Situationen beschränkt sind, wie z.B. bestimmte Tiere, Dunkelheit, Fliegen, Verzehr bestimmter Speisen, Zahnarztbesuch, Krankenhausbesuch, Furcht, bestimmten Krankheiten ausgesetzt zu sein, Anblick von Blut oder Verletzungen, Benutzen von öffentlichen Toiletten etc.
Die Panikstörung (wiederholte Panikattacken) und die Agoraphobie (Platzangst) sind keine klassischen Angststörungen des Kindesalters. Diese treten oft erst im späten Jugend- oder Erwachsenenalter auf.
Was wären Hinweise auf eine Angst-, Panikstörung im Kindesalter?
Woran erkenne ich Panikattacken bei Kindern, die mein Kind ja noch gar nicht als solche benennen kann?
Kleine Kinder können Ängste vermutlich deshalb noch nicht richtig beschreiben, da sie in ihrer kognitiven Entwicklung noch nicht so weit sind, die Symptome einzuordnen zu können.
Eltern können darauf achten, dass sich Ängste auf der körperlichen, der motorischen und der kognitiven und der Gefühlsebene zeigen:
Ein ganz großer Teil der Angstsymptome zeigt sich körperlich:
Herzrasen, schnelle oder flache Atmung, Schwitzen, Übelkeit, große Augen.
Auf der motorischen Ebene lassen sich beispielsweise folgende Symptome erkennen:
Verkrampfungen, erstarren, Zittern der Hände oder der Stimme oder des Körpers allgemein, Daumenlutschen, unruhiges Hin- und Herrschen am Stuhl, Wegschauen, Verstecken oder Davonlaufen, Einnässen;
Die kognitive Ebene ist zwar nicht sichtbar, jedoch sollten Eltern aufmerksam sein, wenn Kinder immer wieder Ängste äußern, immer wieder auf Gefahren hinweisen, die auftreten könnten, immer wieder vermeintliche Risiken ansprechen. Wenn sich also vieles um Ängste dreht.
Auf der Gefühlsebene können Eltern hellhörig werden, wenn sie bei ihren Kindern eine Hilflosigkeit, Ratlosigkeit und das Gefühl von Unsicherheit und Ungewissheit erleben.
Wie hole ich mir in solchem Fall Hilfe?
Die erste Anlaufstelle kann die/ der Kinderarzt/in sein. Viele Kinderärzt*innen kennen die Kinder von Geburt an und können die Symptomatik aufgrund ihrer Erfahrung einschätzen. Sofern eine genauere Abklärung oder eine Behandlung erfolgen soll, gibt es Psychotherapeut*innen und Fachärzt*innen für Psychiatrie, die auf Kinder und Jugendliche spezialisiert sind.
Was ist für dich ganz persönlich das Wichtigste im Umgang mit kindlicher Angst?
Das Kind ernst nehmen, Sicherheit geben und Erklärungen liefern.
In meiner kinderpsychologischen Praxis habe ich erlebt, dass Ängste abnehmen, wenn man die Ängste des Kindes ernst nimmt und sich ihnen behutsam und mit viel, viel Sicherheitsgefühl zuwendet.
Für Kinder kann es Erleichterung bringen, wenn die Angst einen Namen bekommt und man die Angst zeichnet. So wird diese Angst, die für Kinder unerklärlich und unkontrollierbar scheint, greifbarer.
Außerdem kann es hilfreich sein, wenn man gemeinsam eine Erklärung findet, warum die Angst da ist. Für Kinder kann es wichtig sein, zu erfahren, dass die Angst ein wichtiges Gefühl ist und uns eigentlich schützen möchte. Manchmal nimmt diese Angst ihren Job aber zu ernst und möchte uns vor Dingen beschützen, vor denen wir gar keine Angst haben müssten. Wir können dann die Angst (und das Kind) liebevoll an der Hand nehmen und ihm zeigen, dass da kein Monster unter dem Bett ist oder kein Gespenst im Kleiderschrank ist. Hilfreiche, logische Erklärungen mit viel Feingefühl geben dem Kind die Sicherheit, die es braucht, um sich den angstauslösenden Situationen zu stellen und diese zu meistern und beim nächsten Mal mutiger damit umzugehen.
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